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DFB

Imposante Kulisse im Wembley-Stadion

Das macht Lust auf mehr: Deutschland überzeugt vor über 77.000 Zuschauern gegen England.

Ein Debüt vor 77.768 Zuschauern? Unaufgeregt nahm sich die FFC-Verteidigerin Sophia Kleinherne beim 2:1-Sieg der DFB-Frauen beim Freundschaftsspiel gegen England im Londoner Wembley-Stadion vor dieser beeindruckenden Kulisse der Aufgabe gegen Weltklasse-Spielerinnen wie Lucy Bronze oder Nikita Parris auf der linken Abwehrseite an. Ihre Trainerin Martina Voss-Tecklenburg bescheinigte ein starkes Startelf-Debüt: „Sophia hatte anfangs einen schweren Stand, aber hat nie aufgegeben. Die haben wir einfach durchlaufen lassen, sie hat toll trainiert und wir dachten: Es ist ein guter Moment für ein Debüt im Wembley-Stadion.“

Hell erleuchtet im Londoner Regen strahlte jenes berühmte Wembley-Stadion in rot-blau-weiß, den englischen Farben des englischen Fußballverbandes FA denjenigen entgegen, die sich von der U-Bahnstation Wembley-Park dem mystischen Fußballort näherten. Fahnen mit Gesichtern der „Lionesses“ zierten den Weg, es wurde fröhlich und stimmungsvoll gesungen, Verkäufer versuchten Fanschals der Partie an den Mann, die Frau oder das Kind zu bekommen. Ein guter Jahresabschluss – auf wie auch abseits des Rasens –, da waren sich alle deutschen Beteiligten einig. Und von der Atmosphäre gar „ein historischer Moment“, wie ein englischer Fan beispielhaft für den Großteil der Zuschauer in das Mikrofon der Sportschau sprach. Das Feuerwerk bei der kleinen anmoderierten Zeremonie vor Anpfiff bis hin zum Gedenken an die Kriegsopfer mit einer Schweigeminute und den viel gesehenen Poppy-Armbinden, den roten Mohnblüten, sorgten für ein Gänsehautgefühl. Weder die deutschen noch englischen Spielerinnen sind solch ein frenetisches Publikum gewohnt, jeder englische Ballkontakt wurde frenetisch bejubelt vom begeisterungsfähigen Publikum. Ausgerechnet die nach Blitzgenesung nachnominierte Alex Popp köpfte das 1:0 (9.) und brachte Wembley kurzzeitig zum Schweigen. Ein starkes Spiel, das die DFB-Frauen vor solch einer Kulisse ablieferten. Dass sich Torfrau Merle Frohms mit ihrem gehaltenen Elfmeter von Parris (36.) in der ersten Halbzeit zu einer der Heldinnen dieses besonderen Abends aufschwang, war ein Teil des sportlichen Erfolgs in London. Als das Niveau auf dem Rasen nach der Pause abflachte, machten die Zuschauer mit La-Ola-Wellen auf sich aufmerksam.

Das Bewerben und die Begleitung des Spiels durch die FA auf ihren sozialen Netzwerken hatte eine Professionalität, wie man sie meist nur von Männer-Spielen kennt. Dass BBC das Match um 17.30 Uhr englischer Zeit übertrug, war schon lange im Voraus klar, während Eurosport erst wenige Wochen vorher eine Live-Übertragung zusicherte. Die Ansetzung des englischen Verbandes war für den DFB deshalb unglücklich, weil zeitgleich das Männer-Bundesligaspiel Bayern gegen BVB stattfand. Immerhin sahen bis zu 276.000 Fernsehzuschauer das Frauen-Match. Ein erster Schritt der englischen Frauenfußball-Professionalisierung war die Umstellung auf den Saison- statt Jahresrhythmus sowie die Ligaaufstockung von acht auf zwölf Mannschaften. Laut „The Guardian“ investiert der Verband jedes Jahr 18 Millionen Pfund in den Mädchen- und Frauenfußball, Barclay zahlt zwölf Millionen als Ligasponsor, eine Strategie legt ehrgeizige Ziele in den nächsten Jahren im Bezug auf die Entwicklung des englischen Frauenfußballs dar, 30 Spiele der Women’s Super League pro Saison gibt es im TV zu sehen – zudem können Fans anders als in Deutschland alle Partien per App oder online in Großbritannien streamen, kostenlos, versteht sich. Im Vergleich: Der DFB hat bislang keine Strategie, TV-Ansetzungen werden kurzfristig kommuniziert und für die Begegnungen auf Magenta Sport braucht man ein kostenpflichtiges Abo.

In England hingegen wird auf verschiedenen Plattformen für den Frauenfußball geworben, auch Frauen-Ligapartien zu besuchen – während der Männer-Länderspielpause sogar gezielt –, viele große Medien berichten mittlerweile regelmäßig über Frauenfußball. Auch das für drei Pfund verkaufte Matchprogramm der „Lionesses“ von Samstag offenbart die gute Arbeit der FA, die mit zahlreichen Mitarbeitern auf der Medientribüne omnipräsent war: Kurz und bündig viele Informationen und interessante Texte, Interviews und Porträts – verbunden mit den Hinweisen, bei welchen Liga-Spielen die Nationalspielerinnen demnächst angeschaut werden können. Vergleichbares vermisst man in Deutschland. Doch so ehrlich muss man auch sein: Der Zuschauerschnitt bei englischen Vereinsspielen war in der Vergangenheit ähnlich dem der deutschen Liga, wenn auch einzelne Highlightspiele wie das Manchester-Derby zu Saisonbeginn mit 31.123 Fans herausstechen. Im Vorfeld der Partie gab es einen Austausch mit einer DFB-Delegation um den neuen Präsidenten Fritz Keller mit den Verantwortlichen der FA. Solch eine Zuschauerkulisse – da sind sich alle einig – soll es in absehbarer Zeit (wieder) in Deutschland geben. Worum es in diesem Austausch genau ging, verriet man erst einmal nicht – nur so viel: Marketingmaßnahmen habe man sich angeguckt.

„Die Fans waren fantastisch“, befanden die englischen Nationalspielerinnen wie Parris, die sich auch lange nach dem Abpfiff noch feiern ließen, bevor sie sich den Fragen der Journalisten stellten. So beurteilte es auch das deutsche Lager – die zufriedene Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagte: „Es ist wichtig, dass wir in so einer Atmosphäre gezeigt haben, bestehen zu können – das ist mit dem Sieg belohnt worden. Das macht allen Beteiligten Lust auf mehr solcher Spiele – wir als DFB haben da viel mitgenommen. Das müssen wir weiter nach Europa tragen. Unsere Mannschaft hat gezeigt, sich solche Spiele verdient zu haben.“ Ihre Kapitänin Popp beschrieb in den Katakomben des Stadions sie Stimmung als „bombastisch, schon beim Einlaufen, da haben bei jeder die Augen gestrahlt – Gänsehaut pur. Schwierig während des Spiels war nur, sich bei den Mitspielerinnen verständlich zu machen.“ Damit konnten die DFB-Frauen trotz einer starken Phase Englands kurz vor der Pause gut leben, in der Ellen White den – zumindest abseitsverdächtigen – Ausgleichstreffer beinahe mit dem Pausenpfiff (44.) erzielte und das Publikum wieder aufleben ließ.

Doch man darf sich von diesem Event nicht komplett blenden lassen: Einige der Fans, die sich auf den Rängen verteilten, machten sich spätestens nach dem 1:2 durch Klara Bühl (90.) verfrüht auf den Nachhauseweg, das Spiel schien in der zweiten Halbzeit nicht mehr alle zu begeistern, sodass sich die Reihen zusehends lichteten. „Vor so vielen Zuschauern zu spielen, lässt uns wachsen – da gibt man noch einmal zehn Prozent mehr als sonst“, sagte die Siegtorschützin, um sich gleich in die Phrase zu flüchten: „Freundschaftsspiele gibt es keine für uns, wir wollen alle gewinnen.“ Sportlich endete das Jahr für England unversöhnlich – nach dem Viertelfinalsieg im Sommer über Norwegen und der damit verbundenen Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2020 gab es eine 1:2-Niederlage gegen Brasilien und einem knappen 1:0-Sieg über Portugal – nur dank eines Torhüterinnen-Patzers. Was mit dem Gewinn des SheBelievesCup zu Jahresbeginn positiv anfing, endete mit der 1:2-Prestige-Niederlage gegen Deutschland. „Wir waren froh, nur 0:1 hinten gelegen zu haben, denn Deutschland war bis zur 22. und ab der 82. Minute uns in allen Belangen überlegen“, resümierte der englische Trainer Phil Neville, der im Vorfeld der Partie vorschlug, ein jährliches Event für den Frauenfußball zu machen – vorstellbar in England ist dies, Optimismus und Anerkennung für den Sport gibt es auf jeder Ebene.

Herzerwärmend auf den Rängen – und auch auf dem Rasen: Doch was bleibt von der großartigen Kulisse und dem größtenteils grandiosem Mittelfeldspiel der deutschen Frauen einer rasanten ersten Halbzeit im Alltag übrig? War dies tatsächlich ein Meilenstein für die Entwicklung des Frauenfußballs? Wenn in der deutschen Liga weiterhin meist nur ein paar Hundert Zuschauer sich freitags, samstags oder sonntags in die Stadien setzen, ist nichts erreicht – die berechtigte Frage lautet auch, ob es in absehbarer Zeit wieder in Deutschland möglich sei wird, solch eine Masse für ein Frauenfußballspiel begeistern lässt. Momentan schaut es kaum so aus und ob die Atmosphäre dieses singulären Ereignisses aus London wirklich den Weg in die Wohnzimmer und Herzen nach Deutschland gefunden hat, wenn zeitgleich bei den Männern Bayern München gegen Borussia Dortmund spielten? Viele deutsche Print-Medien berichteten wenig oder wenn nur per Agenturmeldung, andere gar nicht (Bild-Zeitung zum Beispiel). BBC, The Guardian und Co. hingegen hielten die Leser- und Zuschauerschaft flächendeckend mit großen Artikeln, Analysen und Reportagen über das Ereignis auf dem Laufenden. Und ohne Unterstützung schafft es die DFB-Spitze trotz aller potentiellen Bemühungen sicherlich nicht allein – schon Voss-Tecklenburg erklärte, sie und die Mannschaft könnten lediglich sportlich mit positiven Leistungen zu einem verbesserten Standing des deutschen Frauenfußballs beitragen.

Die vielen Menschen auf den Rängen sorgten zweifelsfrei für einen unvergesslichen Abend, ein Highlight im Frauenfußball, trotzdem bleibt ein kleiner Beigeschmack, dass das moderne Stadion in London bei weitem nicht voll war, trotz der Meldung im Voraus, es sei mit 90.000 verkauften Karten (Kosten: 1 Pfund für Kinder bis maximal 20 Pfund für Erwachsene) „sold out“. 77.768 Zuschauer – das bedeutet noch nicht einmal Europarekord (80.023 Zuschauer waren es beim Olympischen Frauenfinale 2012 auf englischem Boden), und schon lange nicht die angekündigte Zahl von 90.000, die knapp unter dem Weltrekord von Pasadena, wo 1999 das EM-Finale 90.185 Menschen besuchten, gelegen hätte. Laut DFB-Präsident könnte das Wetter eine Mitschuld daran tragen, dass nicht das Maximum ausgereizt werden konnte. Nicht nur das junge deutsche Team darf den sportlichen Erfolg überbewerten und muss weiter wachsen und sich entwickeln, sondern auch der DFB allgemein muss auf allen Ebenen Lösungen finden, damit die Mannschaft öfter vor solch einer Kulisse spielen kann. Vielleicht ja bereits beim EM-Finale 2021, das ebenfalls im Wembley-Stadion stattfindet – eventuell dann vor einer Rekordkulisse für Europa vor ausverkauftem Haus. Dem Vernehmen nach ist ein Rückspiel auf deutschem Boden 2020 geplant, wo sich der DFB beweisen kann, ob ein mehr oder weniger ähnlich beeindruckendes Publikum durch fleißiges Rühren der Werbetrommel möglich sein wird.

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